Die Infektion mit antibiotikaresistenten Bakterien ist derzeit eine der schlimmsten Diagnosen, die ein Patient im Krankenhaus erwerben kann. Denn sie ist unheilbar, wenn chemische Antibiotika nicht mehr wirken. Die Folgen sind Sepsis, Knochenfraß mit Amputationen und massive Organschäden. An einer Sepsis erkranken in Deutschland jährlich über 300.000 Menschen, rund 70.000 sterben, schreibt Dr. Alexandra Nießen auf der Website des Uniklinikums Essen https://www.uni-due.de/2020-02-26-sepsis-blutvergiftung-thorsten-brenner. Die Zahlen sind nicht mehr aktuell: Die Deutsche Sepsisstiftung geht derzeit von mindestens 340.000 Sepsis-Erkrankungen jährlich und 100.000 Todesfällen aus. https://sepsis-stiftung.de/mitwirken/. Die Zahlen steigen also trotz verbessertem Antibiotic Stewardship deutlich an, denn im Jahr 2019 wurden noch ca. 56.000 Todesfälle jährlich gemeldet.

Die WHO hat die Infektion mit antibiotikaresistenten Keimen noch vor kurzem als die größte Gefahr der Menschheit identifiziert und rechnet mit 700.000 Todesfällen jährlich weltweit und 10 Mio. Todesfällen bis zum Jahr 2050 https://carb-x.org/about/global-threat

Als gefährlichste und am weitesten verbreitete antibiotikaresistente Keime wurden von der EU bis 2019 folgende Bakterien identifiziert:

  • Staphylococcus aureus, vor allem bei Knochen- und Gelenksinfektionen nach Prothesen-OPs sowie beim (diabetischen) Gangrän
  • Pseudomonas aeruginosa, der vor allem für Pneumonien bei Beatmungspatienten und bei zystischer Fibrose verantwortlich ist;
  • Escherichia coli, verantwortlich vor allem für Infektionen des Harntrakts.

Allein diese drei Bakterien sind verantwortlich für mehr als 2/3 der im Krankenhaus erworbenen resistenten Keime in den Industrienationen und für Kosten in Höhe von schätzungsweise 5 Mrd. USD allein in Europa und den Vereinigten Staaten https://www.ecdc.europa.eu/sites/default/files/documents/surveillance-antimicrobial-resistance-Europe-2019.pdf.

Hinzu kommen Klebsiellen, Acinetobacter Baumannii, Enterococcus faecium, uvm. Die Durchseuchung der Bevölkerung nimmt zu, sodass neben dem Klinikpersonal auch die Patienten selbst mehr und mehr Träger der Keime sind und die Keimbelastung bereits präoperativ in die Klinik mitbringen. Hygienisch kommt man dieser Plage offenbar nicht mehr bei. Umso wichtiger ist es geworden, Therapie-Alternativen zur chemischen Antibiose zu finden, zumal bereits seit 1982 keine neue Klasse von Antibiotika mehr gefunden und zugelassen werden konnte https://carb-x.org/about/glob.

Umso erstaunlicher ist es, dass die Bakteriophagentherapie als in der Natur vorkommende, sozusagen „biologische Antibiose“, in den Industrienationen nicht längst Standard geworden ist. Sie wurde bereits vor 100 Jahren entdeckt und von den einigen Ländern wie dem gesamten Ostblock und China selbstverständlich eingesetzt und ständig weiter entwickelt. Sie ist sehr schnell effizient (3 bis 10 Tage) und hat kaum nennenswerte Nebenwirkungen.

Wenn man recherchiert, warum das so ist, stößt man schnell auf Antworten wie die, dass es ja noch kein zugelassenes Fertigarzneimittel gibt, und wir in Deutschland und Europa mangels ausreichender Studienlage auch noch weit davon entfernt seien. Das geht an der Sache vorbei, denn es wird kaum jemals ein Fertigarzneimittel geben, das sich für die Behandlung einer Vielzahl von Infektionen eignet. Denn die Bakterien verändern sich, und die entsprechenden Bakteriophagen passen sich ständig an. Ärzt+innen sind im Rahmen ihrer Therapiefreiheit aber keinesfalls auf die Verordnung von zugelassenen Fertigarzneimitteln reduziert. Die Heilkunde ist ja schon viel älter als die Pharmaindustrie, und selbstverständlich dürfen Ärzt+innen ihre Patienten nach wie vor mit sog. „Rezeptur“-Arzneimitteln versorgen, die nach dem AMG gar keiner Zulassung bedürfen (sog. „magistrale“ Anwendung). Das macht jeder Hautarzt, der die Apotheke in seinem Rezept anweist, eine bestimmte Salbe mit bestimmten Inhaltsstoffen in bestimmter Konzentration und Menge herzustellen und an den Rezept inhaber auszufolgen. Das Problem ist hier nur, Kliniken oder freie Apotheken zu finden, die die Bakteriophagenpräparate herstellen können.

Dabei wird unterschieden zwischen der Herstellung durch den behandelnden Arzt selbst, etwa in der hauseigenen Klinikapotheke unter Mitwirkung und Aufsicht des Arztes (diese Herstellung ist nur anzeigepflichtig, aber vollständig erlaubnisfrei), oder durch Dritte, etwa aushäusige Apotheken, Institute wie das Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin (ITEM) https://www.phagoflow.de/beteiligte-institutionen/ oder kommerzielle Hersteller: Hierbei ist lediglich der Herstellungsprozess überprüft (in NRW und NS sind z.B. die Gewerbeaufsichtsämter sowie das BfArM zuständig, bei der Herstellung von genetisch veränderten Phagen das Paul-Ehrlich-Institut PEI). Erlaubnisfrei arbeitet z.B. die Medizinische Hochschule Hannover, die mit ihrem Nationalen Zentrum für Phagentherapie ein eigenes Phagenlabor eingerichtet hat https://www.mhh.de/nzpt. Die Behandlung wird allerdings aus Gründen begrenzter Kapazitäten leider auf die hauseigenen Transplantationspatienten begrenzt.

Das Fraunhofer-Institut ITEM hat 2020 einen Herstellungsprozess formuliert und dem BfArM bereits im Jahr 2019 vorgelegt. Das BfArM hat dem Labor jedoch die Erlaubnis nur auf Basis der vollen GMP-Richtlinien erteilt. Das hat die Herstellungskosten von € 50,-/Einheit auf € 200.000,-/Einheit verteuert. Die Krankenkassen freuen sich sicher schon darauf, dass sie das im Einzelfall bezahlen dürfen.

Wenn man die Rezepturen nicht selbst herstellen kann, müssen sie aus dem Ausland importiert werden. Dafür muss man heute nicht mehr bis nach Tiflis reisen: Das Queen-Astrid-Military-Hospital in Brüssel (QAMH) hat im Jahr 2017 vom belgischen Staat und dem dort zuständigen Ethikrat eine Herstellungserlaubnis für individuelle Heilversuche erhalten und stellt seine Phagenprodukte den behandelnden Ärzt+innen seitdem weltweit – und derzeit noch völlig kostenfrei – zur Verfügung.

Meistens wird ein Cocktail aus 3 bis 6 Monophagen hergestellt. Die Anwendungsform reicht von
  • topischer Anwendung (z.B. bei Knochen- und Gelenksinfektionen, Empyemen, Gangrän etc.)
  • über eine Anwendung als Inhalans (z.B. zur Behandlung von Beatmungs-Pneumonien)
  • Instillans (z.B. bei chronischen, aufsteigenden Blasenentzündungen)
  • bis zur Injektionslösung zur parenteralen Behandlung (z.B. bei Sepsis oder auch begleitend bei lokalisierten Infektionen).

Weiterführende Links:

https://www.phagoflow.de/detaillierte-projektbeschreibung/

https://phage.directory/

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