I - Zulässigkeit der Behandlung

Generelle Zulässigkeit der Behandlung

In den Medien wird die Zulässigkeit der (Regel-)Behandlung mit Bakteriophagen in der Regel falsch beantwortet. Das führt zu Missverständnissen ,insbesondere bei der Ärzteschaft, die deshalb verunsichert ist und die Phagentherapie gar nicht erst anbietet – mit verheerenden, oft tödlichen Folgen für die Patienten! Im Folgenden sollen deshalb die schlimmsten Fehlinformationen aufgegriffen und geklärt werden:

  1. These: „Die Behandlung ist in Deutschland noch nicht zugelassen“

Diese Aussage ist irreführend: In D gibt es keine Zulassungspflicht für neue Behandlungsmethoden. Mit der Approbation erwerben alle Ärzt+innen in Deutschland eine generelle Behandlungsfreiheit. Diese geht so weit, dass nicht einmal die von der AWMF veröffentlichten „Standards“ für die Ärzt+innen bindend sind, zumal selbst diese in der Regel nur eine geringe Evidenz haben.

Dies gilt erst recht in Fällen des > compassionate-use (dazu später). Hier steht sogar eine Körperverletzung durch Unterlassen im Raum, wenn der Patient auf eine einigermaßen vernünftige und aussichtsreiche, wenn auch neuartige und noch wenig erforschte Behandlungsmethode gar nicht erst hingewiesen wurde.

Gemeint ist mit der Aussage vermutlich der Umstand, dass die Behandlung mit Bakteriophagen noch nicht in den Leistungskatalog der GKVen aufgenommen wurde und/oder dass es noch keine klinischen Studien gibt.

Die ärztliche Therapiefreiheit wird dadurch jedoch nicht eingeschränkt.

  1. These: „Die Studienlage ist noch nicht ausreichend“

Diese These ist ebenfalls irreführend, weil sie suggeriert, dass ärztliche Behandlungen nur erlaubt sind, wenn sie durch randomisierte klinische Doppelblind-Studien zuvor erprobt wurden. Das ist jedoch nicht der Fall; die ärztliche Behandlungsfreiheit wird nicht auf klinisch erprobte Behandlungsmethoden beschränkt. Das mag in anderen Rechtsordnungen anders sein; in Deutschland ist dies allerdings traditionell der Fall.

Richtig ist aber, dass der Arzt die Risiken und den Nutzen der Therapie selbst beurteilen und gegeneinander abwägen muss, solange noch keine klinischen Studien vorliegen. Das heißt, er muss sich in der Literatur unterrichten.

Allein aus den letzten 5 Jahren liegen jedoch weltweit schon hunderte case-reports über Bakteriophagentherapien bei parenteraler und topischer Anwendung vor, die einen z.T. beeindruckenden therapeutischen Nutzen bei genereller Nebenwirkungsfreiheit beschreiben. Der Erkenntniswert ist daher schon anhand dieser case-reports relativ hoch.

Es mag zugestanden werden, dass die Aus- und Weiterbildung der Ärzte im Bereich der Bakteriophagentherapie noch weit hinter dem Erwartbaren zurück bleibt; allerdings sind Phagen und ihre Wirkungsweise Gegenstand der Vorlesung „klinische Mikrobiologie“; mit diesem Wissen kann eine Einschätzung der Risiken und des Nutzens durchaus vorgenommen werden.

Insbesondere die universitären Zentren könnten daher mit dem Argument, dass die Behandlung noch nicht genügend etabliert sei, in einem Haftungsfall jedenfalls nicht gehört werden.

  1. These: „Die Behandlung ist experimentell und daher verboten“

Diese Aussage ist evident falsch:

Richtig ist, dass eine >neuartige, invasive Behandlungsmethode stets gegen ein >(verbotenes) medizinisches Experiment abzugrenzen ist:

  1. beim verbotenen Experiment steht z.B. stets die >Erkenntnisgewinnung im Vordergrund (Forschungsansatz), und nicht ein wie auch immer gearteter >Heilerfolg, während

  2. bei der invasiven Behandlung von bakteriellen Infektionen (insbesondere, aber nicht nur: AMR-Infektionen) der >Behandlungserfolg im Vordergrund steht. Erkenntnisse dürfen aber natürlich trotzdem gewonnen und müssen auch dokumentiert werden; die Dokumentation der Behandlung ist nach Art. 37 des Helsinki-Protokolls der WMA sogar ausdrücklich vorgeschrieben. Hierüber ist der Patient selbstverständlich aus datenschutzrechtlicher Sicht aufzuklären und sein Einverständnis ist einzuholen (dazu später).

Die Bakteriophagentherapie kommt bei entsprechender Indikation daher gar nicht in die Nähe eines verbotenen Experiments.

Sie ist dem Experimentierstadium auch bereits deshalb seit langem entwachsen, weil der Entdecker der Phagen, Félix d’Hérelle, im Jahr 1919 in Frankreich die generelle Ungefährlichkeit für den Menschen, zumindest bei der enteralen Verabreichung, im Selbstversuch unter Einbeziehung seiner gesamten Familie und von 20 Ärzten belegt hat (s. Mendel, Pharmakon, Heft 6/2021, und Häusler/Kühn, „Bakteriophagentherapie“).

Die Bakteriophagentherapie wurde auch im Westen bis in die späten 80-iger Jahre durchaus angewandt, in Frankreich z.B. an verschiedenen Instituts Pasteur, und in Deutschland wurden noch in den 60-iger Jahren in den Neuen Bundesländern Phagen gegen intestinale Infektionen hergestellt. Danach verliert sich ihre Spur auch hier zu Gunsten der chemischen Antibiotika.

Von einem menschlichen Experiment kann daher im Ergebnis schon lange keine Rede mehr sein.

Die Einschaltung der Ethik-Kommission ist bei neuartigen Behandlungsmehtoden ebensowenig erforderlich wie in Fällen des individuellen Heilversuchs mit Fertigarzneimitteln, die im Inland noch nicht zugelassen sind („compassionate use“). Das eine therapeutische Entscheidung, die dem Arzt allein obliegt – zusammen mit dem Patienten, natürlich, der wie immer so auch hier entsprechend aufzuklären ist.

Allerdings wäre das 4-Augen-Prinzip bei der Beurteilung der Frage empfehlenswert, ob ein >compassionate-use-Fall vorliegt oder nicht. Dies ist allerdings ausschließlich für Fragen der Kostenübernahme durch die Kostenträger und für den Arzneimittelimport wichtig (dazu später). Hier könnte die >Infektiologin des Hauses hinzugezogen werden, die konsiliarisch bestätigen kann, ob die Krankheit chronifiziert und der Patient austherapiert ist bzw. ob bei Fortsetzung der chemischen Antibiose ohne Phagenunterstützung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein fataler Verlauf eintreten wird.

Die Einordnung der Behandlung als compassionate ist aber nicht für die Behandlung an sich erforderlich (die ärztliche Therapiefreiheit gilt vielmehr umfassend); erforderlich ist sie vielmehr ausschließlich

  1. für die Kostenübernahme durch die (gesetzlichen) Krankenkassen und

  2. für die Einfuhr und Abgabe von im Inland nicht zugelassenen >Fertigarzneimitteln aus dem Ausland.

Obwohl therapeutisch vor allem >Rezepturarzneimittel zur Anwendung kommen werden, sind sog. >Fertigarzneimittel als >Breitband-Phagenpräparate in den ost-europäischen Ländern traditionell frei erhältlich, auch ohne Rezept. Allein das ELIAVA-Institut in Tiflis/Gerogien hat dafür allerdings eine nationale Herstellungs- und Vertriebslizenz. Der Einsatz eines z.Zt. auf dem Markt befindlichen >Fertigarzneimittels (z.B. PYO, FERSISI oder INTESTI des ELIAVA-Instituts) als Breitband-Phagenpräparat könnte in Eilfällen als Initialtherapie durchaus in Betracht kommen, wenn man ein längeres Zuwarten, bis das personalisierte, spezifische >Rezepturarzneimittel fertig ist, medizinisch nicht verantworten kann, und wenn zumindest einer der vom Fertigarzneimittel abgedeckten Bakterienstämme nachgewiesen wurde. Die Indikation hierfür stellt der Arzt/ die Ärztin z.B. daran, ob bei einem späteren Einsatz von spezifischen Phagen das Risiko eines lebensbedrohlichen Herx-Syndroms steigen würde, die generalisierte Bakterienlast also in der Zwischenzeit vermutlich erheblich ansteigen wird. In Fällen, in denen ein vergleichbares Arzneimittel für die Indikation im Inland nicht zur Verfügung steht, der Patient also auf chemische Antibiotika nicht mehr anspricht (oder eine der eingangs genannten Kontraindikationen vorliegt), darf ein solches Präparat durchaus von einer >Apotheke offiziell aus dem Herkunftsland eingeführt werden (§ 73 Abs. 3 Ziff. 1 bis 3 AMG).

Der Vertrieb des Präparats SniPha 360, das von der österreichischen Firma Sanubiom GmbH vertrieben wird, ist arzneimittelrechtlich nicht zulässig; deshalb bewirbt die Herstellerfirma das Produkt laut Website (phage24.com) auch nur für die Durchführung von >Labortests. Allerdings wird der Erwerb faktisch nicht auf Ärzte und Labore begrenzt, und Dosierung und Darreichungsform entsprechen den Therapeutika. Die Herkunft und der Herstellungsstandard des Präparats sind nicht zertifiziert und auch nicht überprüfbar.

Aufklärung („informed consent“), shared decision-making in medicine (“SDM”)

Wie bei jeder Behandlung, so stehen auch bei der Bakteriophagentherapie die Pflicht zur Aufklärung des Patienten und seine Einwilligung im Vordergrund („informed consent“). Die Aufklärung muss sich im Falle der Bakteripohagentherapie – wie bei allen neuartigen Therapiemethoden – vor allem darauf beziehen,

  1. was dem Patienten droht, wenn die inzwischen ineffizient gewordene Therapie fortgesetzt wird,

  2. dass noch wenig Evidenz im klassischen Sinne über die Risiken und den Nutzen der Bakteriophagentherapie vorliegen, und dass sich die Erkenntnisse im Wesentlichen aus – immerhin – einer Vielzahl von Einzelfall-Studien ergeben haben.

  3. Schließlich ist auch darüber aufzuklären, dass die Behandlung im ambulanten Bereich noch nicht von den Krankenkassen übernommen wird. Darauf kann im Falle eines „compassionate use“ u.U. verzichtet werden, weil die Krankenkassen dann verpflichtet sind, die Kosten zu tragen. Allerdings muss dann darüber aufgeklärt werden, dass der Kostenantrag VOR dem Beginn der Therapie gestellt werden muss.

Einen speziellen Aufklärungsbogen und eine Einverständniserklärung stellen wir unseren ärztlichen Mitgliedern über das Login kostenlos zum download zur Verfügung.